12.08.2020 16:45 Alter: 3 yrs
Kategorie: Artikel

Wir sind Cranach!

Dr. Thomas Schauerte über Aschaffenburg als neues Mitglied der „Wege zu Cranach“


Wie kein anderer Maler steht Lucas Cranach d. Ä. für die Durchsetzung und Verbreitung der Reformation seines Freundes Martin Luther – und dennoch: Die Nahsicht offenbart, dass die Sache wohl doch nicht ganz so einfach lag. Denn für jeden Künstler bedeutete der neue Glaube ja auch einen radikalen Bruch mit jener spätmittelalterlichen Stifterfrömmigkeit, die mit ihren kostbaren Ausstattungen für all die Klöster, Kirchen und Kapellen Generationen von Kunstschaffenden ein Auskommen und künstlerische Entwicklungsmöglichkeiten geboten hatte.

Konnte man also das eine tun, ohne das andere zu lassen?

Lucas Cranach d. Ä.: Bildnis des Kurfürsten Albrecht von Brandenburg. Kupferstich, 1520. Museen der Stadt Aschaffenburg, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. D 3/2 (Dauerleihgabe der Staatlichen Graphischen Sammlung, München; Foto: Ines Otschik)

 

Cranach konnte: Zu Beginn der 1520er Jahre, während er mit seinen Holzschnitten die junge Reformationsbewegung wirkmächtig bebilderte, erging zeitgleich auch der wohl größte Gemäldeauftrag, den die ältere deutsche Kunstgeschichte kennt, an den Meister aus Wittenberg. Auftraggeber war niemand geringeres als der nach dem Kaiser zweitmächtigste Mann im Heiligen Römischen Reich, der Mainzer Kurfürst-Erzbischof, Reichserzkanzler und Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490–1545). Dabei handelte es sich um nicht weniger als 16 große Flügelaltäre für die Stiftskirche in Halle (Saale), für die an die 150 einzelne Tafelbilder unterschiedlicher Größe benötigt wurden. Gegen 1525 war der Großauftrag erledigt und machte den Hallenser „Dom“ für ein paar Jahre zu einer wahren Schatzkammer der Renaissance. Doch die Herrlichkeit dauerte nur bis 1541, dann zwang die Reformation den Kurfürsten auch in Halle, das Feld zu räumen. Doch durfte er die meisten seiner Kunstschätze mit sich nehmen, verbrachte sie aber nicht in seinen Erzbischofssitz Mainz, sondern nach Aschaffenburg, seiner wichtigsten Nebenresidenz – „Cranach im Exil“ hieß denn auch 2007 die große Ausstellung, die sich mit den letzten Jahren des Kardinals in seiner Aschaffenburger Residenz befasste.

Vor dem Magdalenenaltar im Stiftsmuseum: Oberbürgermeister Jürgen Herzing, Bereichsleiterin Touristik Waltraud F. Gulder, Direktor Dr. Thomas Schauerte (Foto: Natalie Ungar)

Obwohl die meisten dieser Schätze nach Albrechts Tod verloren gingen, hat sich in Aschaffenburg vor allem der „Magdalenenaltar“ als größter der Hallenser Altäre im Stiftsmuseum erhalten. Und nebenan in der Stiftskirche, ist mit seinem bronzenen Baldachin-Epitaph aus der Nürnberger Vischer-Werkstatt ein weiteres Hauptwerk der albertinischen Kunst zu bewundern, das zudem auf ganz besondere Weise noch immer ins Herz der Reformationsproblematik führt: Denn auf dem Baldachin steht mit dem Margarethen-Sarkophag eines der letzten und eindrucksvollsten Zeugnisse jener gewaltigen Reliquiensammlung, die der Brandenburger in Konkurrenz zu Luthers großem Beschützer, Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen, mit Hingabe für sein Seelenheil gesammelt hatte – was dem Wittenberger Reformator von Anfang an ein ganz besonderes Dorn im Auge war. Die vielbeschworene „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ ist es also, die all diese Überlieferungen so interessant macht – denn während Cranach für den Kardinal tätig war, entstanden genau parallel auch seine elf ganzseitigen Holzschnitte für Martin Luthers berühmtes „Septembertestament“ von 1522, das überdies auch noch von Cranach verlegt wurde. So zeigt sich gerade angesichts der Aschaffenburger Kunstwerke die Janusköpfigkeit dieser Umbruchszeit, die in der Person des Künstlers Cranach geradezu physisch greifbar wird. Und nachdem ab 2021 auch die hochbedeutenden Cranach-Bestände der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in Schloss Johannisburg wieder zu sehen sein werden, ist es mehr als naheliegend, das Jubiläumsjahr des Septembertestaments 2022 auch in Aschaffenburg zu begehen. Es ist eine willkommene Gelegenheit, um gerade die Ambivalenz der frühen Reformationsjahre an zweien ihrer Hauptprotagonisten – Lucas Cranach und Albrecht von Brandenburg – in einer Ausstellung im Stiftsmuseum anhand der zahlreichen Holzschnitte in der Graphischen Sammlung der Städtischen Museen sowie der Luther-Drucke in der Hofbibliothek noch einmal lebendig werden zu lassen. So ist Lucas Cranach zwar nie in Aschaffenburg gewesen; aber dank all der vielen historischen Verwerfungen und Überlieferungszufälle darf sich nun seit kurzem auch die einstige Mainzer Residenz – als einzige katholische Stadt – unter die historischen Cranach-Orte zählen. So verschlungen sind sie eben manchmal – die „Wege zu Cranach“.