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Polemische Buchillustrationen von Cranach Vater und Sohn
Lucas Cranach und seine Werkstatt haben innerhalb der Buchgraphik polemische Darstellungen geschaffen, die Martin Luthers Kritik an der Papstkirche bildhaft zum Ausdruck bringen. Silvia Pfister stellt sie vor und zeigt ihre Abwandlungen in verschiedenen Druckausgaben.
Ab dem 2. November 2015 zeigt die Landesbibliothek Coburg unter dem Titel Buch, Bild und Glaube. Luther, Cranach, Spalatin, eine Ausstellung die ganz dem buchkünstlerischen Schaffen von Lucas Cranach und seiner Werkstatt gewidmet ist. Die Leiterin der Landesbibliothek und Kuratorin der Ausstellung Dr. Silvia Pfister führt in einer Artikelserie des Cranach-Magazins in diesen bislang weitgehend vernachlässigten Aspekt des Cranach’schen Werkes ein.
Lucas Cranach der Ältere schuf 1521/22, also in enger zeitlicher Nähe zum Wormser Reichstag (1521), eine Reihe von papstfeindlichen Illustrationen. Sie erschienen in der reformatorischen Flugschrift Passional Christi und Antichristi sowie in der Erstausgabe von Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments (Septembertestament; hierzu mehr im nächsten Beitrag der Folge). Damit arbeitete Cranach ganz im Sinne des Reformators, der in zahlreichen Schriften den Papst mit dem Antichrist (auch: Endchrist) gleichsetzte.
Der Antichrist galt in der christlichen Tradition seit der Spätantike als der finale Gegenspieler Christi, der kurz vor dem Weltuntergang in Erscheinung treten wird. Ausgangspunkt dieser Vorstellungen war die Bibel, konkret die Propheten Ezechiel und Daniel sowie die Offenbarung des Johannes (Apokalypse). Martin Luther brachte diese visionären Textstellen in Verbindung mit der eigenen Zeit.
Es ist frappierend zu beobachten, dass in den einzelnen Ausgabenstadien der Lutherbibel die einschlägigen Stellen nicht nur zuverlässig illustriert, sondern diese Bilder auch besonders häufig abgewandelt sind. Nicht alle visionären und apokalyptischen Darstellungen sind polemisch, doch alle polemischen Bibelillustrationen Cranachs haben diesen Bezugsrahmen.
Passional Christi und Antichristi
In dem 1521 anonym und ohne Druckvermerk erschienenen Passional Christi und Antichristi werden in 13 Gegensatzpaaren auf einander gegenüberliegenden Seiten Szenen aus dem Leben Christi solchen aus dem Leben des Papstes (= Antichrist) kontrastiert. Das Schlussbild zeigt Christi Himmelfahrt und den von Teufeln begleiteten Höllensturz des Papstes. Die fast die ganze Seite füllenden Bilder einschließlich des Titelblatts gehen auf Lucas Cranach d. Ä. oder seine Werkstatt zurück. Die kurzen Textbeigaben (Kommentare aus der Bibel bzw. den päpstlichen Dekretalen) wurden unter Mitwirkung Philipp Melanchthons zusammengestellt. Ob und in welcher Form der damals inkognito als Junker Jörg auf der Wartburg lebende Luther Einfluss darauf nahm, muss offen bleiben. Das Passional ist in einer Online-Ausgabe der Landesbibliothek (Lu Ia 1521,35) Coburg einsehbar.
Zinsgroschenwunder nach Matthäus 17, 24-27 (Christus spricht sich für die Entrichtung von Steuern aus) wird der kirchenrechtlichen Steuerbefreiung von Geistlichen gegenübergestellt.
Das Septembertestament von 1522 und spätere Bibelausgaben
Bei den Illustrationen der reformationspolemisch relevanten Passagen des Septembertestaments wird auf den Papst stets mit dem Attribut der Tiara verwiesen, der charakteristischen Krone mit drei übereinander angeordneten Reifen. Illustriert ist in diesem allerersten Druck einer Bibelübersetzung Luthers lediglich die Offenbarung des Johannes. Eine Tiara tragen das Tier aus dem Abgrund und die babylonische Hure (beide Holzschnitte von Lucas Cranach d.Ä.), die so mit dem Papst gleichgesetzt werden.
Das hat scharfe Reaktionen hervorgerufen. Herzog Georg von Sachsen, ein Vetter von Martin Luthers Schutzherrn Kurfürst Friedrich III. (dem Weisen) von Sachsen, machte seinen Einfluss geltend und sorgte dafür, dass für die folgende Ausgabe (Dezembertestament) die oberen beiden Kronreifen aus dem Druckstock entfernt wurden. Die beiden apokalyptischen Figuren tragen in dieser Ausgabe nur eine einfache Krone. Auch in den späteren Ausgaben war die Gestaltung der (Papst-) Krone ein Dauerthema, das auch in den vom Monogrammisten MS aus dem Cranach-Umfeld geschaffenen Illustrationen in den Vollbibeln ab 1534 brisant blieb.
Bildbeispiele
Aus dem Septembertestament von 1521 von Lucas Cranach d.Ä., Landesbibliothek Coburg: Cas A 1142:
Vermessung des Tempels mit dem Tier aus dem Abgrund und zwei Zeugen
Die babylonische Hure
Aus der Medianbibel von 1541 ("auffs new zugericht" = zweite Ausgabe der vollständigen Lutherbibel) vom Monogrammisten MS, Landesbibliothek Coburg: P I 1/10:
Vermessung des Tempels mit dem Tier aus dem Abgrund und zwei Zeugen
Aus einer weiteren Medianbibel von 1541 ("auffs new zugericht"), Landesbibliothek Coburg: Lu Ia 1541,5:
Die Hure Babylon
Die gedruckte einfache Krone wurde in diesem Exemplar nachträglich von Hand mit schwarzer Tinte wieder zur dreistöckigen Papstkrone ergänzt.
Aus der letzten zu Luthers Lebzeiten erschienenen und von ihm autorisierten Ausgabe von 1545, Landesbibliothek Coburg: Lu Ia 1545,5:
Die Hure Babylon
mit dreiteiliger Krone (wohl neu geschnittener Druckstock des Entwurfs vom Monogrammisten MS)
Papstesel und Mönchskalb
1523, also zwei Jahre nach dem Passional, erschien die von Philipp Melanchthon und Martin Luther gemeinsam verfasste polemische Flugschrift Deutung der zwei gräulichen Figuren Papstesels zu Rom und Mönchskalbs zu Freiberg in Meißen gefunden. Darin werden zwei - gemeinhin als göttliche Zeichen gedeutete - Missgeburten als Anlass genommen, um wieder gezielt gegen die Papstkirche zu polemisieren. Die beiden Illustrationen des Papstesels und des Mönchskalbs stammen wahrscheinlich von Cranach selbst.
Papstesel und Möchskalb Lucas Cranachs des Älteren, Landesbibliothek Coburg: P I 5/52#2:
Das Papsttum mit seinen Gliedern
1526 brachte der Wittenberger Drucker Joseph Klug, bekannt auch als Werkstattleiter der Cranach’schen Druckerei, eine Holzschnittserie mit Papst, Kardinal, Bischof und den Angehörigen der zahlreichen geistlichen Orden heraus. Von wem die polemischen Verse dazu stammen, ist unbekannt. Der von Cranach und seiner Werkstatt illustrierte Wittenberger Druck war mit einem Vor- und Schlusswort Luthers versehen.
Auch diese Publikation wurde, wie das bei fast allen illustrieren Schriften dieser Zeit zu beobachten ist, wiederholt nachgedruckt. Die Landesbibliothek Coburg besitzt einen Nürnberger Druck, der wohl 1526 in Nürnberg bei Hans Guldenmundt herauskam mit Holzschnitten von Sebald Beham. Der Druck wird auf dem Titelblatt als „gebessert und gemehrt“ bezeichnet und hat den Wittenberger Druck zur Vorlage. Als Titelillustration dient der Papst, während der Wittenberger Druck den von der Cranach-Werkstatt geschaffenen Titelrahmen mit dem Harfe spielendem David, Säulen und Lutherrose der Erstausgabe des Psalter deutsch (1524) nachgenutzt hatte.
Bildbeispiele aus dem Nürnberger Exemplar, die die Ähnlichkeit mit der Wittenberger Vorlage deutlich erkennen lassen: Papst und Willig armen Brüder (im Original: Willig armut), Landesbibliothek Coburg: Lu Ia 1526,11:
Polemische Buchgraphik Lucas Cranachs d.J.
Der 1523 von Lucas Cranach d. Ä. geschaffene Papstesel wurde sehr oft nachgeschnitten und dabei jeweils leicht verändert, wahrscheinlich auch von seinem Sohn (oder vom Monogrammist MS) für die ab 1545 in Wittenberg bei Hans Lufft erschienene erste lateinische Ausgabe der Werke Martin Luthers. Die Landesbibliothek Coburg besitzt davon einen etwas späteren Druck von 1550ff. Der darin enthaltene Papstesel ist gegenüber dem Druck von 1545 geringfügig abgewandelt. An diesem polemischen Motiv lässt sich gut erkennen, wie willkürlich die Unterscheidung zwischen den beiden Cranachs bzw. zwischen ihnen und den Werkstattmitarbeitern sein kann, besonders in der Buchgraphik: War der Druckstock einer erfolgreichen Illustration verbraucht, musste er erneuert werden - von jemand, der das konnte und der sich dabei auch die eine oder andere kleine Freiheit nahm.
Bildbeispiel: Papstesel Lucas Cranachs d. J., Landesbibliothek Coburg Cas A 1628 (2) fol. 392v.:
Erwähnt sei auch, dass auf dem von Lucas Cranach d.J. für die überarbeitete Bibelausgabe von 1540/41 geschaffenen und für etliche Ausgaben verwendeten Titelblatt der Teufel im linken unteren Bildteil einen Kardinalshut trägt – die einzige polemische Anspielung in diesem theologisch höchst gehaltvollen Entwurf.
Bildbeispiel: Lucas Cranach d.J.: Titelrahmen mit Versinnbildlichung der lutherischen Kernthemen Sündenfall und Erlösung; hier aus Bibelausgabe von 1550/51, Landesbibliothek Coburg: Lu Ib 114 (2), Detail: Teufel mit Kardinalshut: