Neustadt an der Orla

Das Jüngste Gericht

Cranach-Altar in St. Johannis, Neustadt an der Orla, Detail: Predella mit dem Jüngsten Gericht

Lucas Cranach d.Ä.
Mischtechnik auf Holz
215 x 128 cm
Stadtkirche St. Johannis, Neustadt an der Orla


In der Stadtkirche St. Johannis in Neustadt an der Orla empfängt ein großes Altarretabel aus der Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä. den Betrachter. Er gehört zu den ersten Aufträgen, die der Wittenberger Hofmaler von der Bürgerschaft einer Stadt erhielt. 1513 geweiht, steht er bis heute unverändert an seinem Platz – das ist einmalig für die Altäre von Lucas Cranach d. Ä. So kann man den prachtvollen Altar noch heute in seiner ursprünglichen Umgebung erfahren, sich in die Geschichte um Johannes den Täufer, den Kirchenpatron der Neustädter Stadtkirche, einsehen sowie Cranachs frühe Formensprache in der reichen Ausstattung mit Skulpturen und Tafelmalerei erleben. Das Retabel wird von einer Predella getragen, die eine Darstellung des Jüngsten Gerichtes zeigt. Auf ihrer Botschaft fußt förmlich die Hauptaussage des Retabels – das Weltgericht: Gesetz und Gnade aus Gottes Hand.

Der Bildgegenstand des Jüngsten Gerichtes basiert auf dem Evangelium nach Matthäus 25, 31-46 und findet seine Fortführung in der Offenbarung des Johannes 20, 13 mit den Worten "…und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken". Das Thema selbst ist in der Kunstgeschichte nicht neu, es begegnet uns bereits in Romanik und Gotik und findet unter Cranach d. Ä. eine bemerkenswerte Weiterentwicklung. Denn während Stefan Lochner 1435, Hieronymus Bosch 1482 und Albrecht Dürer in einem Holzschnitt 1510 noch die geöffneten Gräber und die Auferstehung der Toten darstellen, fehlen diese auf der Neustädter Tafel.

In der Mitte der Predella thront Christus auf einer Weltkugel. Neben ihm knien Maria und Johannes der Täufer in anbetender Haltung. Hinter ihnen schweben in den Wolken die Seligen, rechts die Männer, links die Frauen. Es zeugt von der Theologie jener Zeit, den Seligen menschliche Züge zu verleihen, sie als Menschen zu zeigen, die nach dem Gottesgericht den Weg ins Paradies gefunden haben. Darunter, auf der Erde, ist das Gericht zu sehen. Während die Guten sanft von einem Engel und dem heiligen Petrus im Priestergewand in den Himmel geleitet werden, schiebt der Teufel auf der rechten Bildseite die Menschen in die Hölle. Ein Ausschnitt des Grauens wird sichtbar. Fünf geflügelte Teufelsfiguren mit tierähnlichen Gesichtern werfen die Menschen nackt und angstgeplagt in den Schlund der rauchenden Hölle. Ein Mönch ist erkennbar, auch dieser Stand wird nicht geschont. Und während der Höllenschlund in der geöffneten Erde seine bedrohlichen Feuerwolken ausspeit, findet die Einführung ins Paradies – hin zum göttlichen Licht – recht himmlisch statt. Der Übergang ins Paradies ist bereits der Erde entrückt. Zwischen diesen beiden Szenen hat Cranach einen Freiraum gelassen. Dieser bekommt erst dann eine Bedeutung, wenn der Betrachter auf der Altarmensa das Kreuz genau vor diesem Bildausschnitt zu sehen bekommt. Cranach konzipiert diese Predella also nicht als autonome Malerei, sondern stellt sie vielmehr in einen direkten Funktionszusammenhang zum gesamten Altar. Das Neue ist das Kreuz, dass sich auf der Altarmensa befindet, denn so wurde und wird dem Betrachter vor Augen geführt, dass auch sein Leben gerichtet wird.

Ronny Schwalbe

Ronny Schwalbe ist als Leiter des Kultur- und Tourismusamtes Neustadt an der Orla und als Leiter des Museums für Stadtgesichte in Neustadt an der Orla tätig.