Neustadt an der Orla
Die Enthauptung Johannes des Täufers
Lucas Cranach d.Ä.
Mischtechnik auf Holz
ohne Bez.
Stadtkirche St. Johannis
In der Stadtkirche St. Johannis in Neustadt an der Orla empfängt ein großes Altarretabel aus der Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä. den Betrachter. Er gehört zu den ersten Aufträgen, die der Wittenberger Hofmaler von der Bürgerschaft einer Stadt erhielt. 1513 geweiht, steht er bis heute unverändert an seinem Platz – das ist einmalig für die Altäre von Lucas Cranach d. Ä. So kann man den prachtvollen Altar noch heute in seiner ursprünglichen Umgebung erfahren, sich in die Darstellung des Weltgerichts auf der Predella vertiefen und in der reichen Ausstattung mit Skulpturen und Tafelmalerei Heiligenlegenden und die biblische Geschichte in Cranachs früher Formensprache erleben. Im Zentrum des Bildprogramms steht die Geschichte um Johannes den Täufer, den Kirchenpatron der Neustädter Stadtkirche.
Auf der wohl markantesten Bildtafel, Die Enthauptung Johannes des Täufers, lässt Cranach, entgegen den anderen Tafeln des Altars, die Dargestellten auf engsten Raum zusammentreten. Der Henker, der dem Betrachter den Rücken zuwendet, nimmt den meisten Platz auf der Tafel ein. Er ist die Schlüsselfigur neben Salome, der Tochter der Herodias, welche am linken Bildrand die Schüssel bereithält. Beide Figuren sind direkt in die Handlung einbezogen, während die beiden Hofdamen der Salome sowie die fünf männlichen Personen in der rechten oberen Bildhälfte eher passiv dem Geschehen beiwohnen.
Salome reicht dem Henker die Schüssel, der mit entschlossenem Blick, das Schwert noch in der rechten Hand haltend und zum Boden gesenkt, das Haupt des Täufers an den Haaren auf die Schüssel legt. Mit schmerzvollem Gesichtsausdruck, geöffnetem Mund und gebrochenen Augen strahlt dieser Kopf eine selige Ruhe des Friedens aus. Das Antlitz ist von solcher Klarheit, dass es zu dem benachbarten Haupt des Henkers in striktem Gegensatz steht. Der Torso des Täufers liegt blutströmend auf dem Boden.
Die Gruppe der Männer im Hintergrund weist wohl die geringste Beteiligung am Geschehen auf. Und doch ist ihre Darstellung auf dieser Tafel von eminenter Bedeutung. Die beiden Gesichter, die vollständig zu sehen sind, zeigen die Portraits Friedrich des Weisen, Kurfürst von Sachsen, und seines Bruders Johann des Beständigen. Über die anderen drei Figuren kann man nur spekulieren. Es wurde mehrfach versucht, in der obersten Figur, die nur durch ein Auge portraithafte Züge erhält, ein Selbstbildnis des Meisters Lucas Cranachs zu sehen. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich in der Malerei der Renaissance, zeitgenössische Personen, die historisch dem Geschehen nicht zuzuordnen sind, in zentrale Themenfelder hinein zu projizieren und damit bestimmte Aussagen zu verbinden.
Das Bildthema selbst ist nicht neu. Albrecht Dürer behandelte es 1510 in einem Holzschnitt, welcher wohl für die Komposition der Neustädter Tafel Pate stand. Cranach selbst verarbeitet das Sujet in zwei eigenen Holzschnitten 1508 und 1514 und in der Malerei greift er das Thema 1515 erneut auf.
Ronny Schwalbe
Ronny Schwalbe ist als Leiter des Kultur- und Tourismusamtes Neustadt an der Orla und als Leiter des Museums für Stadtgesichte in Neustadt an der Orla tätig.